Warum ich noch immer in Kamerun bin?

Frau Dr. Herz ist seit Jahrzehnten in Kamerun im Breich der Augengesundheit tätig. Sie schreibt regelmäßige Rundbriefe. Den aktuellen Rundbrief möchten wir gerne an dieser Stelle teilen:
Viele Rundbrief Leser fragen mich warum ich so viele Jahre in Kamerun geblieben bin und ich dort trotz der schwierigen Situation immer noch bleibe und sogar noch gerne bleibe.
Mit diesem Rundbrief will ich versuchen dies zu erklären. Der Hauptgrund ist natürlich meine Arbeit als Augenärztin und Leiterin von im Lauf der Jahre drei Augenkrankenhäusern von denen ich zwei gegründet und von Grund an mit jeweils vielen Aussenstationen aufgebaut habe. Das bedeutet nicht nur medizinische Arbeit aber auch Mit-Architektin und Bauleiterin sein. Dazu kommt die oft sehr schwierige Organisation von allen benötigten Materialen, Unterhandlungen mit Behörden für Genehmigungen, Anheuern der Arbeiter und vieles andere, das in Deutschland durch verschiedene Beauftragte getan wird. Oft ist Krisenmanagement notwendig.
Immer lerne ich noch dazu, auch jetzt noch. Ohne die Unterstützung und die intensive Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitern wäre dies alles nicht zu bewältigen.
Wir sind in unserer Klinik zu einer Gemeinschaft zusammen gewachsen, die exemplarisch für die kamerunische Gesellschaft ist. Diese Gesellschaft ist nicht individualistisch sondern kollektiv ausgerichtet. Das bedeutet, dass das Wohlergehen des Einzelnen auch das Wohlergehen seiner Gemeinschaft bedeutet. So haben unsere Mitarbeiter, wie schon in früheren Briefen erzählt, viele Kinder aus ihrer Großfamilie aber auch Nichtverwandte aus dem von kriegerischen Handlungen erschütterten Nord- und Sued Westen des Landes aufgenommen. Trotz beengter Wohnverhältnisse und oftmals knapper Kasse wird diese Gastfreundschaft als beinahe selbstverständlich betrachtet. Ausser ab und zu einem Korb Jams oder Erdnuessen steht dem kaum eine Vergütung gegenüber.
Was das Leben hier angenehm macht ist u.a.das Motto: “il faut supporter”, “das muss man eben aushalten”.
Diese Grundhaltung der Kameruner zeigt sich bei den vielen Widrigkeiten des täglichen Lebens vom häufigen Ausfall des Stroms oder der Wasserversorgung, bei übervollen Transportmitteln, bei Autopannen, bei
Hitzewellen mit Trockenheit, bei übermässigen Regenfällen – oder auch ganz banal, bei Zahnschmerzen. Man muss durchhalten und nicht all zu viel klagen.
Hier bestimmt die soziale Interaktion das Leben; der Mensch steht im Mittelpunkt. Trifft man z. B. auf der Strasse oder beim Einkaufen jemanden, den man kennt, beginnt man gewöhnlich eine kleine Plauderei. Man erkundigt sich nach der jeweiligen Gesundheit, die der Familie, fragt nach Neuigkeiten aus dem Dorf, tauscht sich aus, nimmt sich Zeit füreinander und hört einander zu. Noch nie habe ich gehört, dass jemand sagt er /sie habe keine Zeit oder er /sie sei in Eile. EarPods, die die Aussenwelt abschirmen, sind glücklicherweise noch eine Ausnahme.
Ein kamerunisches Sprichwort lautet: “The more we are together the happier we are”. Frei übersetzt: ‘ Zusammensein macht glücklich’.
Das zeigt sich am Besten bei den vielen Festen, welche die Kameruner feiern, am liebsten feiern sie tagelang. Meistens helfen die Gäste mit. Sie arrangieren die Tische und Stühle, helfen beim Kochen oder beim Servieren der Mahlzeiten. Mich erstaunt noch immer wie die Organisatoren es schaffen jedesmal genug Essen und Trinken zu beschaffen auch fuer unvorhergesehene Gäste. Ein Fest ohne Singen und Tanzen ist in Kamerun kein Fest. Niemand bleibt auf seinem Stuhl sitzen. Selbst die gebrechlichsten Alten bewegen sich mit kleinen Bewegungen im Rhythmus mit.
Nach dem Feiern wird den auswärtigen Gästen selbstverständlich einen Schlafplatz angeboten. Mit der fast sprichwörtlichen Kameruner Gastfreundschaft werden Matratzen zwischen den Möbelstücken ausgerollt. Irgendwo passt immer noch jemand dazwischen, mit den Kindern teilt man sich die Matratze. Man arrangiert sich und schickt sich nach den Gegebenheiten.
Für mich als Mitteleuropäerin ist das Leben in Kamerun eine dauernde Lehre in Lebenskunst.
Elisabeth Herz










